Das grosse Aufräumen



Seine Frau sei nun auch in die 7. Dekade eingetreten die Kunde, und das Facebook gerät in Jubelstimmung. Von allen Seiten Glückwünsche, auch meine! Mir entlockt ein solches Ereignis jeweils nicht jene Jubelstimmung, wie vorgespielt. Die Zeit schreitet unaufhaltsam voran. Die Stunden reihen sich zu Tagen, diese wiederum zu Monaten, bis daraus Jahre zu Jahrzehnten verkommen. 

So einfach wird das Leben angezählt.

Also kein Grund zum Jubeln, meine ich. 

Denn irgendeinmal kommt es zum grossen Aufräumen. 

So erlebe ich es gegenwärtig zwischen der 11. und 12. Traversa der Chidro specchiarica in San Pietro. Hier gilt vor dem Haus ist hinter dem Haus. Von den zwei parallelen Strasse führt nämlich je ein Eingang zu meinem Haus.

In beiden Strassen werden die Häuser von liebenswerten Nachbarn geräumt. Wucherndes Unkraut verraten deren lange Abwesenheit, was selbst die selbstauslösende Lampe nicht verbergen kann, wenn sie nachts Vorüberschreitende mit ihrem gleissenden Licht buchstäblich überfällt, dabei nicht fähig, zwischen schwarzen Katzen und Menschen zu unterscheiden. Hier in der 11. reichte mir vor 30 Jahren Anna einen Plasiksack voll Fische, zeigte mir, wie man diese ausnimmt und wie sich diese mit einem Küchenmesser entschuppen lassen, und auf der anderen Seite in der 12. überreichte mir Enza über den Zaun eine Schüssel selber gemachte Orecchiette, beide so die ersten Kontakte suchend. 

Nun sind sie nicht mehr. 

Ich war der erste Ausländer in der Strasse, “lo Svizzero Kuno”, der ihre grenzenlose und schon fast schamlose Neugierde weckte und den man gerne mit allerlei Ratschlägen überhäufte. Abends, wenn die Stühle zum geselligen Zusammensein auf der Strasse zusammengerückt wurden, wartete man fast sehnsüchtig auf mein Erscheinen. Teilen konnte ich mich nicht, auf beiden Strassenseiten meine Aufwartung machen: unmöglich. Alle überboten sich im Anerbieten ihrer Leckereien, dies mehr aus Zuneigung als mich auf ihre Strassenseite zu ziehen. Ich unterstellte mich all den Gebräuchen und Ritualen, nur beim Beten des Rosenkranzes bei Marienfesten verzog ich mich in mein Haus und dem Wunsch, die Bäume auf meinem Land fällen zu lassen, da deren Nadeln die umliegenden Gärten verschmutzten, widersetzte ich mich. Hemmungslos benutzten dafür die lieben Nachbarn im Sommer meine schattenspendenden Bäume als Parkplätze für ihre Fiats. So schützte ich halt meine Fahrhabe mit Leintüchern vor der Sonne und die Kirche blieb stets im Dorf. Allein deswegen wird mir einst Maria mein Fernbleiben verzeihen, sollte ich tatsächlich mal bei der Himmelspforte ankommen.

Die irdische Vergänglichkeit ist jedenfalls gewiss. Ein Wirrwarr von Stühlen, Bänken, Tischen, Matratzen, Kommoden und herumliegenden Weinflaschen der beiden Verstorbenen liessen mich heute an Anna und Enza erinnern. Ihre süditalienische Gutherzigkeit bleibt ohnehin unvergessen.