Unangemeldeter Besuch bei „Il Barone“
Wer ist il Barone? „Il Barone“ ist ein Olivenbaum. Nicht irgend ein Olivenbaum, sondern es ist der preisgekrönte monumentalste Olivenbaum ganz Apuliens! Und das will etwas heissen. Immerhin umfasst Apulien fast 20‘000 km2 Land und zählt rund 60 Millionen Olivenbäume. Das dürfte dem halben Olivenbaumbestand ganz Italiens nahekommen.
Olivenbäume sind das Wahrzeichen Apuliens.
Der Bedeutung wegen ziert auch ein Olivenbaum das Wappen Apuliens. Einer dieser Bäume darf sich also seit 2017 „il Barone“ nennen. Viele Olivenbäume zwischen Foggia und dem südlichsten Salento wurden für den Wettbewerb „Giganti di Puglia“ nominiert. Für die Jury des Vereins „ Millenari di Puglia“ soll es schwierig gewesen sein, den Gewinner zu ermitteln. Wegen der Schönheit, der Pracht seines Stammes und seines Laubes schwang „il Barone“ obenaus. Ein imposanter Olivenbaum sei es, der die Essenz der Geschichte Apuliens und jener vieler Generationen verkörpere.
Angesichts solcher Referenzen sollten auch 30 Grad im Schatten kein Hinternis darstellen, mich mit dem Bike auf die Suche nach dem gelobten Baum zu machen. Er stehe mitten in einem Naturschutzgebiet, konnte ich nachlesen, unweit der zwei schönsten Strände des Salento, jenem des Punta Prosciutto und jenem des Torre Colimena. Der Baron dominiere auf dem mehr als 400 Hektaren grossen Olivenhain andere gleichermaßen eindrucksvolle, jahrhundertealte Olivenbäume der Masseria Fellicchie. Diese verdienten es auch, besucht zu werden.
Masserien gehören übrigens, wie die alten Olivenbäume, zum alten Kulturgut des Salento. Die trutzigen, befestigten Bauernhöfe wehrten sich im frühen Mittelalter gegen die Piraten, die vom Ionischen Meer kommend, es auf Hab und Gut abgesehen hatten. Am gefürchtesten waren die arabischen Sarazenen aus dem Orient. Ihre Raub- und Eroberungszüge durch Apulien machten vor nichts halt, auch das Olivenöl der Masserien musste als willkommene Beute herhalten. Berechnungen des Alters von „il Barone“ wiesen darauf hin, dass dieser wohl vor dem Jahre 1000 gepflanzt wurde und genannte Räuberhorten sich vielleicht auch seines Ölivenöls bedienten. Unglaublich, was dieser Baum in seinem langen Leben alles erlebte!
Nach kurzer Fahrt stand ich also mit meinem Bike staunend inmitten von Hundertschaften monumentaler Olivenbäume. Einmalig die individuelle Ausprägung jedes Baumes! Darunter „il Barone“ zu finden, hiesse eine Nadel im Heustock zu orten. In der Masseria erhoffte ich mir Hinweise auf den genauen Standort von Barone zu erhalten, doch auf dem Gut stand ich rundum vor verschlossenen Toren und Türen. Siesta! Ich hätte es ja wissen müssen! Lediglich ein Engländer, ein Feriengast der Masseria wies mich an, einer Fahrspur entlang zu folgen, so nach 800 Metern ginge es dann rechts. Wenn ich dort unter der Holzabsperrung durchschlüpfe, fände ich links den alten Baum. Nur: auf dem Weg dorthin präsentierte sich jeder Olivenbaum eindrucksvoller und verknorzter als der vorherige, in jedem Exemplar hätte man „il Barone“ vermuten können. Eine Absperrung als Orientierungspunkt war zudem nirgends auszumachen. Was blieb mir anderes übrig, als mich am Gesehenen zu erfreuen und das Geheimnis des „il Barone“ einer Legende gleich mal ruhen zu lassen? Wenigstens kann ich jetzt sagen, ich sei im Lande des „il Barone“gewesen und hätte seine Aura in nächster Nähe gespürt.
Seele, was willst du noch mehr?
Ich hoffe nur, dass dieser geschichtsträchtige Baum die unglaublicher Dramatik, die ihn umgibt, überlebt. Es verhält sich so: Das aus Amerika stammende Bakterium „Xylella fastidiosa“ wurde vor Jahren in Apulien erstmals als Erreger eines Absterbens von Olivenbäumen identifiziert. Es stellt eine massive Bedrohung der Olivenbestände im gesamten Verbreitungsgebiet dieser Baumart dar. Bei Befall eines Baumes müssen in einem Umkreis von 100 Metern auch gesunde Wirtspflanzen gerodet werden. Ausgenommen sind unter besonderem Schutz stehende „olivi monumentali“, die mit Netzen gesichert und ständig beobachtet werden müssen. Noch ist der Olivenhain der Masseria Fellicchie kerngesund. Keine Netze über den alten Bäumen sind auszumachen.
Von den Zeichen des Kampfes, der sich im äussersten Südosten Italiens abspielt, spürt man noch nichts. „Xylella fastidiosa“ ist eine Krankheit, welche die Gesellschaft spaltet und das Vertrauen in die Wissenschaft und die Institutionen zersetzt. In kurzer Zeit hat das Killerbakterium grossflächig Teile der Landschaft verwüstet, ohne dass man ihm auf die Spur kam. Die Korruption reiche bis in die Forschung. Der Vorwurf, diese hätte mit fingierten Forschungsergebnissen die Chemieindustrie beliefert, ist happig. Damit sei wertvolle Zeit verloren gegangen. Man liegt sich also in den Haaren! So wundert es nicht, dass konservative Landarbeiter und Bauern eher an die Kraft religiöser Rituale glauben, als an die Massnahmen der Regierung und an die Ergebnisse der Wissenschaft. Ob das eingekrizelte Kreuz, das ich am Eingang zum Olivenhain entdeckte, auch solchem dient, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.