Wenn die Sonne im Tagesverlauf am höchsten Stand fast stehen bleibt und die Bäume im eigenen Schatten verharren, verbreitet sich
eine Stille im Quartier, die glauben lässt, der Tiefschlaf habe die Gemüter übermannt. „Siesta“ mit einem Glas Primitivo di Manduria untermalt, versetzt einem in einen Zustand, gegen den man sich
nicht wehren kann. Das muntere Geplauder am Mittagstisch der Nachbarn löst sich nach und nach auf, der Männerstimmen werden weniger, zwischen dem Klappern der Teller hört man höchstens noch jene
der Frauen. Wenn Mamma und Nonna alles Geschirr im Küchenschrank verstaut haben, verstummen auch diese. Wehe dem, der diese Ruhe nicht respektiert! Niemandem fällt ein, diese zu missachten, auch
Kinder nicht, nur die Zikaden geniessen das Privileg, Ruhebrecher zu sein.
Ja, die Zikaden, wo sind sie geblieben? Seit drei Jahren vermisse ich das Zirpen dieser Viecher, das den Mittagsschlaf der „Siesta“ orchestriert und ihr das typisch südländische Lebensgefühl verpasst. Das Orchester der männlichen Zikaden, die mit ihrer Musik um die Gunst der Weibchen werben, nimmt der Mittagsruhe das Gespenstische und überspielt wohlwollend und schon fast schmeichelnd das Glas Vino rosso di Manduria, das man sich zuviel genehmigt hat. Gerne lauscht man ihnen dösend und bemerkt dabei, dass offenbar auch diese Viecher ihren Taktgeber haben, die bestimmen, wann gekreischt wird. Nun begleitet das Zirpen der Zikaden nicht mehr das angenehme Schwergefühl im Kopf und in Gliedern. Dem Bakterium „Xylella fastidiosa“ sei Dank, jenes verfluchte Bakterium, das droht, die tausendjährige Tradition der Olivenbaumbestände Apuliens zu vernichten. Übertrager und Verbreiter des Schädlings sind nämlich die Zikaden. Also mussten diese zuerst daran glauben. Mit Spritzaktionen auch aus der Luft, dann, als sich der Tourismusstrom aus Norditalien kommend verzogen hatte, soll man ihnen zu Leibe gerückt sein, liess ich mir sagen. Das Olivenbaumsterben geht trotzdem weiter und hat bereits Oria, eine Stadt Friedrich II erreicht (gestorben anno 1250). Wenn der das wüsste, er, der einige dieser jetzt uralten Monumente noch pflanzen liess! Alle Stürme der Zeit überstanden die Bäume. Sollte das 21. Jahrhundert ihr letztes sein?
16.30 weckt mich der Kaffeegeruch der Nachbarn. Langsam hört man auch wieder Männerstimmen. Wie froh ich bin, hier ein Mann zu sein! Grazie Signora! Suo caffè è il meglio al mondo. Auch eine Erkenntnis aus Apulien.